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Bund und Länder beraten: Darum geht’s beim Corona-Gipfel
Überblick
Stand: 10.08.2021 07:26 Uhr
Nachteile für Ungeimpfte? Ende der Gratis-Schnelltests? Wie geht Deutschland in den Corona-Herbst? Erneut beraten Bund und Länder über Maßnahmen gegen die Pandemie. Darum geht es diesmal – ein Überblick.
Die Ausgangslage
Eigentlich galt das Format MPK schon als überholt. Nach der unrühmlichen Ministerpräsidentenkonferenz vor Ostern und der später zurückgezogenen Osterruhe versprachen gleich mehrere Politikerinnen und Politiker eine neue Form des Treffens. In der Zwischenzeit wurde eine „Bundesnotbremse“ eingeführt – und wieder beendet. Die Zahl der Neuinfektionen sank im Frühsommer deutlich – um inzwischen wieder ähnlich rasant anzusteigen. Deutschland steckt mittlerweile erneut in einer Corona-Welle. Dabei hat der Herbst noch lange nicht begonnen. Und schon sind die Erwartungen an das Treffen wieder groß.
Die Ausgangslage des heutigen Bund-Länder-Treffens ist allerdings eine andere. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt zwar inzwischen wieder bei mehr als 20. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr lag die Inzidenz Anfang August noch unter Zehn. Das Robert Koch-Institut (RKI) verzeichnet zudem einen schnelleren und früheren Anstieg der Sieben-Tage-Inzidenz als vor einem Jahr. Beruhigender ist hingegen die Entwicklung auf den Intensivstationen. Hier ist der Anstieg der Fallzahlen laut RKI weiter auf „einem niedrigen Niveau“. Außerdem gibt es – anders als vor einem Jahr – inzwischen eine relativ hohe Anzahl Geimpfter.
Für die Politik stellt sich die Frage, wie Deutschland in diesem Herbst mit vermutlich weiter steigenden Infektionszahlen umgehen soll. Sind neue Einschränkungen notwendig? Ist der Inzidenz-Wert überhaupt noch aussagekräftig, wenn jeder Zweite geimpft ist? Wie können weitere Menschen für eine Impfung motiviert werden? Und was geschieht mit den kostenfreien Tests?
Gesundheitsminister Jens Spahn hat vergangene Woche die Debatte mit einem Positionspapier angeheizt. Der „Spiegel“ und die Nachrichtenagentur dpa berichteten an diesem Montag schließlich von einem Fünf-Punkte-Papier Armin Laschets, das er im CDU-Präsidium präsentiert hatte. Dabei ging es demnach unter anderem um die Ausweitung der Testpflicht, mehr Anreize und breitere Appelle zum Impfen sowie eine differenziertere Erfassung des Pandemiegeschehens.
Gratis-Corona-Schnelltests
Soll es auch künftig noch kostenlose Schnelltest für alle geben? Diese Frage beschäftigte das Gremium schon lange vor dem Treffen. Bundesgesundheitsminister Spahn schlug in seinem Strategiepapier vor, die Gratis-Schnelltests Mitte Oktober auslaufen zu lassen.
Dieser Linie folgt auch die Beschlussvorlage des Kanzleramts für das heutige Treffen, aus der mehrere Medien zitieren. Angesichts des inzwischen bestehenden Impfangebots für alle sei eine „dauerhafte Übernahme der Kosten für alle Tests durch den Bund und damit den Steuerzahler nicht angezeigt“, heißt es in dem Papier. Bestehen bleiben sollen die kostenlosen Testmöglichkeiten für Menschen, die nicht geimpft werden können oder für die keine allgemeine Impfempfehlung vorliegt. Als Beispiele werden insbesondere Schwangere sowie Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren genannt.
Ein konkretes Datum für das Ende der kostenlosen Bürgertests wird in dem Papier nicht genannt. Wörtlich heißt es, dass der Bund das Angebot kostenloser Bürgertests für alle „mit Wirkung vom X. Oktober 2021 beenden“ werde.
Kritik am möglichen Ende der Corona-Schnelltests kommt unter anderem von den Sozialverbänden. Ihre Sorge: Einkommensschwache Familien würden dadurch von vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen. Auch für FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae sind die kostenlosen Tests „gut angelegtes Geld“. Genesene und Geimpfte seien zwar weitgehend vor Erkrankung geschützt, könnten aber das Virus weitertragen, warnte er.
Die CDU betont, dass sie gleichzeitig das Testen ausweiten will, um einen erneuten Lockdown unbedingt zu verhindern. „Wir wollen keine Schließungen, sondern wir wollen Sicherheit durch mehr Impfen und noch mehr Testen“, so Generalsekretär Paul Ziemiak. Und auch Laschet sagte im CDU-Präsidium laut dpa, künftig müsse überall dort getestet werden, wo man im Innenraum auf fremde Menschen treffe. Wer geimpft sei, bleibe von der Testpflicht aber ausgenommen.
Einschränkungen für Ungeimpfte?
Insgesamt wollen Bund und Länder den Druck auf Ungeimpfte erhöhen. Laut der Beschlussvorlage soll noch im August eine sogenannte 3G-Regel greifen, die den Zutritt zu zahlreichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens nur noch für Geimpfte, Genesene oder getestete Menschen regelt. Wer weder geimpft noch kürzlich von einer Covid-19-Erkrankung genesen ist, soll zu Krankenhäusern, Pflegeheimen, Veranstaltungen, Gottesdiensten, Fitnessstudios, Hotels sowie zur Innengastronomie und körpernahen Dienstleistungen nur bei Vorlage eines negativen Corona-Tests Zugang bekommen.
Ein Antigen-Schnelltest darf dabei nicht älter als 24 Stunden, ein PCR-Test nicht älter als 48 Stunden sein. Die Länder sollen die 3G-Regel laut der Beschlussvorlage ganz oder teilweise aussetzen können, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz stabil niedrig „und ein Anstieg der Infektionszahlen durch Aussetzung der Regelungen nicht zu erwarten“ ist.
Damit greift die Beschlussvorlage im wesentlichen den Vorschlag aus Spahns Strategiepapier auf, das aber noch weiter geht. Dort heißt es, im Notfall Ungeimpfte generell nicht mehr zu Veranstaltungen zuzulassen – auch nicht mit negativem Schnelltest.
Allerdings lehnen dies gleich mehrere Politiker ab. Allen voran Laschet. „Wer geimpft, genesen oder getestet ist, den darf der Staat nicht von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausnehmen“, sagte der Unions-Kanzlerkandidat der „Bild am Sonntag“. Auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz wies Spahns Vorschlag zurück, deutete aber an, dass nur das Konzept Schnelltests infrage gestellt werden könnte. „Die Frage ist: Mit welcher Art von Tests?“ Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher plädierte dafür, Ungeimpfte nur mit negativem PCR-Test Geimpften und Genesenen gleichzustellen. „Antigen-Schnelltests sind nicht zuverlässig genug“, sagte er.
Ohnehin könnte es sich von alleine regeln, glaubt etwa Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU). Er gehe davon aus, dass Hoteliers, Clubs und Veranstalter künftig nur noch Geimpfte in ihre Häuser ließen, sagte er der „Welt am Sonntag“. Zuvor hatte bereits der Fußballverein 1. FC Köln angekündigt, ab Ende August nur noch geimpfte oder genesene Zuschauer ins Stadion zu lassen.
Home-Office
Laut Informationen der Nachrichtenagentur Reuters soll das Thema Homeoffice-Verpflichtung für Betriebe wieder auf der Agenda stehen. Demnach soll das SPD geführte Arbeitsministerium vorgeschlagen haben, dass ab einer Corona-Inzidenz von mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen Homeoffice wieder verpflichtend angeboten werden muss. Allerdings sollen die Vorbehalte in der Wirtschaft groß sein.
Impfkampagne
In Deutschland sind bisher rund 55 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. Zuletzt ließ das Tempo aber deutlich nach – so wurden innerhalb einer Woche nur rund eine halbe Million Menschen erstgeimpft – in der Spitze waren es im Mai mehr als eine Million an einem Tag. Mit Impfbussen könnte die Impfbereitschaft gesteigert werden. FDP-Fraktionsvize Thomae forderte, eine „unaufgeregte Aufklärungskampagne“, um Ängste zu zerstreuen.
CDU-Chef Laschet sprach sich für eine „Impf-Offensive“ aus. Von den Beratungen der Ministerpräsidenten mit Merkel müsse ein „großer und geschlossener Impf-Appell“ ausgehen, sagt er laut dpa im CDU-Präsidium.
Welches Kriterium soll künftig gelten?
Zumindest darüber scheint es in der Politik weitgehend Einigkeit zu geben: Die Sieben-Tage-Inzidenz – also die Neuinfektionen je 100.000 Einwohner und Woche – soll es allein nicht mehr sein. Hinzu kommen sollen Parameter wie die Impfquote, die Auslastung der Krankenhäuser und die Zahl der Intensivpatienten. Doch auch hier gilt: In Detailfragen dürften die Länder zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen.
Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig (SPD) fordert eine Corona-Ampel. „Sie muss neben den aktuellen Corona-Zahlen auch die Auslastung der Krankenhäuser und Intensivbetten und den Impffortschritt berücksichtigen.“ Und auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) verweist auf „sehr gute Erfahrungen“ mit der Corona-Ampel.
Im Beschlussentwurf des Kanzleramts für den heutigen Gipfel wird die Hospitalisierung von Covid-19-Patienten als wichtige Größe zur Beurteilung des Infektionsgeschehens bezeichnet. Eine konkrete Definition, welche Indikatoren neben der Sieben-Tage-Inzidenz herangezogen werden, gibt es in dem Entwurf aber nicht. Neben der Hospitalisierung werden die Impfquote, die Zahl der schweren Krankheitsverläufe und die resultierende Belastung des Gesundheitssystems genannt. Diese Indikatoren sollen beobachtet werden, um sich gegebenenfalls auf weitere Maßnahmen verständigen zu können.
Kommt es zu neuen Einschränkungen?
Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Bundestags, Erwin Rüddel (CDU), zeigte sich im Gespräch mit der „Bild“ zuversichtlich, dass es keine massiven Einschränkungen für Geimpfte gibt. „Es stellt sich die Frage, ob es unsere Gesellschaft nicht auch aushalten kann, diejenigen, die sich bewusst nicht impfen lassen und dann schwer erkranken, entsprechend zu versorgen, statt das gesamte Land und die Wirtschaft mit dem Damoklesschwert des Lockdowns zu ängstigen und zu schädigen.“
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther schloss auch bei weiter steigenden Corona-Zahlen einen Lockdown aus. Es gebe derzeit überhaupt keinen Grund für weitergehende Eingriffe in Grundrechte – gerade für Menschen, die geimpft sind, betonte der CDU-Politiker.
Längere „epidemische Notlage“?
Die Gesundheitsminister der Länder sprechen sich dafür aus, dass der Bundestag die vorerst bis 11. September bestehende „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ verlängert. Hintergrund sei, dass eine Fortführung von Infektionsschutzmaßnahmen auch danach absehbar sei, heißt es laut dpa in einem einstimmigen Beschluss der Ressortchefs. Diese Forderung greift auch der Beschlussentwurf auf.
Die festgestellte Lage gibt dem Bund das Recht, direkt ohne Zustimmung des Bundesrates Verordnungen zu erlassen, etwa zu Tests, Impfungen, zum Arbeitsschutz oder zur Einreise. Zudem beziehen sich konkrete Maßnahmen wie Maskenpflicht oder Kontaktbeschränkungen, die die Länder festlegen können, laut Infektionsschutzgesetz auf die Feststellung dieser „epidemischen Lage“.
Minister Spahn hatte ein Auslaufen der Regelung ins Gespräch gebracht, nach seiner Überzeugung gibt es genügend Anschlussregelungen. Sein Ministerium verweist darauf, dass die Bestimmungen zum Impfen, Testen, zur Einreise und zum Divi-Register für Intensivbetten entfristet wurden. Auch andere Unionspolitiker wollen die epidemische Lage auslaufen lassen. Laschet und Ziemiak sprachen sich hingegen für eine Verlängerung aus, ähnlich wie die SPD – unter anderem wirbt Vizekanzler und Kanzlerkandidat Scholz für eine Verlängerung.
Und sonst?
Auch diesmal dürfte das Thema Kitas und Schulen zumindest angesprochen werden. Bekanntlich legen die Bundesländer großen Wert darauf, dass Bildung Ländersache ist. Dennoch dürften Fragen wie Präsenzunterricht, Tests, Luftfilter und Hygienekonzepte eine Rolle spielen. Zumal noch kontrovers diskutiert wird, inwiefern Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren geimpft werden sollen.
Beschlussentwurf für MPK: Schnelltests ab Oktober nicht mehr kostenlos
Vera Wolfskämpf, ARD Berlin, 10.8.2021 · 06:50 Uhr
Zu den Beschlüssen der Bund-Länder-Beratungen und der Corona-Lage sendet das Erste am Dienstag ein „ARD extra“ direkt nach der Tagesschau um 20 Uhr.