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EU-Haushaltsstreit: Die Krise in der Krise

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EU-Haushaltsstreit: Die Krise in der Krise

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Die EU findet beim Haushaltsstreit um das Veto von Ungarn und Polen keine Lösung. Daran änderte auch ein Videogipfel am Abend nichts. Nun bleibt unter anderem die Auszahlung von Corona-Hilfen weiter blockiert.
Von Holger Beckmann, ARD-Studio Brüssel
Wenn die Europäische Union ratlos ist, dann vertagt sie sich. So war es bisher, so ist es auch jetzt wieder gewesen. Die 27 EU-Staats- und Regierungschef haben bei ihrem Video-Gipfel nur kurz über den massiven Konflikt in ihren eigenen Reihen mit Polen und Ungarn und inzwischen offenbar auch mit Slowenien gesprochen, hieß es aus Verhandlungskreisen.
Sie hätten sich dabei gegenseitig ihre offensichtlich derzeit unüberbrückbaren Differenzen dargestellt und sich dann weniger brisanten Themen gewidmet. Der Situation in den einzelnen Gesundheitssystemen der Mitgliedsstaaten vor allem. Das dürfte mehr oder weniger unproblematisch gewesen sein, denn die Gesundheitspolitik ist in Europa ausschließlich Sache der Mitgliedsstaaten selbst, da kann niemand den anderen hineinreden.
Der Rechtsstaats-Mechanismus als Streitpunkt
Ganz anders eben als bei den gemeinsamen Finanzen, auf die man sich im Sommer bei einem EU-Gipfel in Brüssel und nach viertägigem Verhandlungsmarathon geeinigt hatte: Nämlich auf den Rahmen für das EU-Budget der nächsten sieben Jahre, den Corona-Rettungsfonds mit einem Volumen von satten 750 Milliarden Euro und eben damit verknüpft: den von Ungarn und Polen inzwischen so verhassten so genannten Rechtsstaats-Mechanismus.
Der soll EU-Mitgliedsstaaten künftig auf die Einhaltung von Mindeststandards bei der Unabhängigkeit von Justiz und Forschung und der Pressefreiheit verpflichten, wenn sie überhaupt Gelder aus Brüssel bekommen wollen; und darauf, dass bei der Verteilung dieser Zahlungen Korruption außen vor bleibt.
Slowenien schlägt sich auf die Seite der Nein-Sager
Geld aus Brüssel bekommen die beiden osteuropäischen Staaten in erheblichem Umfang, auch vom Corona-Fonds würden sie massiv profitieren. Seit Jahren allerdings wird ihnen vorgeworfen, dass sie in ihren eigenen Ländern den Rechtsstaat mit Füßen treten – dass Ungarn etwa unabhängige Journalisten kalt stellt oder Polens Regierung mehr und mehr willfährige Richter einsetzt. Das bestreitet man zwar in Warschau und in Budapest, den Rechtsstaatsmechanismus möchte man aber trotzdem nicht.

Wohl aber das Geld der EU. Also lehnt man diesen Mechanismus ab – und damit das gesamte Finanzpaket, das nach dem Willen der anderen einen Dreiklang bilden soll aus Budget-Rahmen, Rettungsfonds und Rechtsstaats-Regeln. Für Brüssel ärgerlich: Inzwischen hat sich das kleine Slowenien auf die Seite der zwei Osteuropäer geschlagen, obwohl es bisher offiziell kein Veto eingelegt hat. Aber so oder so: Es verkompliziert die Dinge weiter.
Konflikt eine echte Zerreißprobe
Der Konflikt – da sind sich viele Politikwissenschaftler und Wirtschaftsforscher sicher – hat das Zeug, die Europäische Union im schlimmsten Fall zu zerreißen. Dass man die Suche nach einem Ausweg jetzt vertagt hat, bezeichnen in Brüssel manche als Eingeständnis der Unfähigkeit der 27, in der Corona-Krise mit ihren einschneidenden Folgen vor allem für Unternehmen und Verbraucher wirklich an einem Strang zu ziehen. Die Folgen könnten tatsächlich gravierend sein.
Frankreich und Deutschland hatten im Sommer gemeinsam die Initiative für den Corona-Fonds ergriffen. Nachdem sich abgezeichnet hatte, wie massiv der Wirtschaftseinbruch durch die Pandemie sein würde – zu dem Zeitpunkt vor allem in Italien und in Spanien. Inzwischen ist klar: Es trifft auch andere europäische Länder hart: Frankreich oder Tschechien, auch Polen und Ungarn kommen keineswegs nur mit wirtschaftlichen Schrammen davon. Und vor allem: Trotz der viel versprechenden Nachrichten mit Blick auf einen oder mehrere Impfstoffe ist nach wie vor nicht klar, wann das alles zu Ende sein wird.
Wirtschaftliches Ungleichgewicht bedroht den Euro
Klar ist nur: Die Tatsache, dass manche EU-Staaten ökonomisch weniger angeschlagen durch die Pandemie kommen als andere, verschärft die wirtschaftlichen Ungleichgewichte im europäischen Binnenmarkt und in der Euro-Zone. Im Frühjahr schon hatte der Chef des Euro-Rettungsfonds ESM, Klaus Regling, deutlich gemacht, dass daraus eine neue Schuldenkrise und ein Auseinanderbrechen des Euros resultieren könnten.
Jetzt ist es EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloini gewesen, der sich mit einem dringenden Appell an die Mitgliedsstaaten gewandt hat: Sie sollten endlich Verantwortung übernehmen für die Menschen in ihren Ländern und in ganz Europa und das Finanzpaket schnell auf den Weg zu bringen, um in dieser Jahrhundertkrise schlimmeres zu verhindern.
Deutsch-französischer Plan könnte scheitern
Doch offenbar: Sie tun es nicht. Der ehrgeizige deutsch-französische Plan, die EU mit einer massiven und durch gemeinsame europäische Schulden finanzierte Geldspritze durch die Pandemie zu bringen, zusammen zu halten und vor allem: ihr auf die Weise auch einen Schub für ihre wirtschaftliche Modernisierung Richtung Klimaneutralität und Digitalisierung zu geben auf Basis gemeinsamer verbindlicher rechtsstaatliche Werte, dieser Plan könnte nun tatsächlich scheitern.
Weil es an der notwendigen Einstimmigkeit dazu in Europa fehlt. Auch die Präsidentin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde, erinnert die EU-Staaten an ihre Verantwortung. Doch vor allem bei Polen und Ungarn, die den Euro als Währung gar nicht haben, läuft das ins Leere.
EZB tut das, was die Mitgliedsstaaten nicht schaffen
Solange aber die EU kein Finanzpaket gegen die Folgen der Krise auf den Weg bringt, muss die EZB dafür sorgen, dass den Südeuropäern nicht das Geld ausgeht. Also wird die Zentralbank wohl weiterhin in großem Stil Staatsanleihen kaufen, um ein Auseinanderbrechen der Währungsunion zu verhindern. Langfristig mag das Inflationsrisiken bergen, sagen manche Wirtschaftsforscher – kurzfristig gebe es keinen anderen Weg: Die EZB tut mit ihrer Geldpolitik das, was die Mitgliedsstaaten finanzpolitisch nicht schaffen.

Wie man das alles auflöst, darüber herrscht Ratlosigkeit. Zwar wird in Brüssel spekuliert, ob man den Corona-Fonds auch ohne Ungarn und Polen auf den Weg bringen oder ihnen im Europäischen Rat der Mitgliedsstaaten die Stimmrechte entziehen könnte – das wäre aber alles langwierig und kompliziert, und Südeuropa sei aber jetzt auf Milliarden aus Brüssel angewiesen, heißt es aus Rom und Madrid – und nicht irgendwann.
Noch hat Deutschland die rotierende EU-Ratspräsidentschaft. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist diese Situation deshalb jetzt eine massive Herausforderung. Von ihr wird erwartet, hier Kompromisse zu suchen und zu finden. Denn während Ungarn und Polen die Rechtsstaats-Regeln rigoros ablehnen, bestehen beispielsweise die Niederlande oder die Skandinavier vehement darauf. Im Sommer war es der Kanzlerin zusammen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gelungen, Europa zusammen zu führen. Wie es dieses Mal ausgeht ist völlig offen.

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