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Gewalt in Nahost: Von Entspannung keine Spur
Stand: 14.05.2021 22:01 Uhr
Auch wenn nun ein US-Diplomat vermitteln will – eine Entspannung der Lage im Nahen Osten ist vorerst nicht in Sicht. Wieder flogen Raketen aus Gaza nach Israel, wieder unternahm Israel Gegenangriffe, wieder gab es Tote.
Seit Tagen liefern sich nun Israel und militante Palästinenser im Gazastreifen einen heftigen Schlagabtausch und ein Ende der Eskalation zeichnet sich nicht ab. Mit einem Großangriff hat Israels Armee ein bedeutendes Tunnelsystem der im Gazastreifen herrschenden Hamas attackiert. „Viele Kilometer“ des Netzes seien beschädigt worden, teilte das Militär via Twitter mit.
Militante Palästinenser setzten derweil den Beschuss Israels aus dem Gazastreifen am Mittelmeer fort. Mehr als 2000 Raketen seien nach Angaben der Armee seit Beginn der Eskalation am Montagabend auf Israel abgefeuert worden. Das Abwehrsystem „Iron Dome“ habe davon nahezu 1000 abgefangen. Am Abend meldete das Militär dann drei Raketen, die aus Syrien in Richtung Israel abgefeuert worden sein sollen. Eine sei demnach auf syrischem Boden eingeschlagen.
Susanne Glass, ARD Tel Aviv, über die Lage im Nahost-Konflikt
tagesthemen 21:45 Uhr, 14.5.2021
Tote auf beiden Seiten
Vor allem im Umkreis des Palästinensergebiets am Mittelmeer ertönten am Freitag immer wieder Warnsirenen. Nach Angaben des dortigen Gesundheitsministeriums wurden in Gaza seit Beginn der Eskalation des Konflikts mehr als 120 Menschen getötet, darunter auch Frauen und Kinder. Etwa 900 weitere Menschen wurden demnach verletzt. Wie die israelische Armee mitteilte, wurden in Israel durch den Raketenbeschuss der vergangenen Tage acht Menschen getötet. Vom Gazastreifen greift der Konflikt aber auch zunehmend auf das Westjordanland über. Nach Angaben dortiger Gesundheitsbehörden seien am Freitag sieben Palästinenser durch Beschuss des israelischen Militärs getötet worden.
Das Tunnelsystem „Metro“
Der Gazastreifen ist eines der am engsten besiedelten Gebiete der Welt. Israel beobachtet den Küstenstreifen permanent – etwa mit Drohnen aus der Luft oder über elektronische Überwachung. Für Kämpfer und Kommandeure bedeutet das: Sie müssen sich etwas ausdenken, um unbemerkt von A nach B zu kommen, um Waffen zu transportieren oder zu fliehen.Hier kommt ein System ins Spiel, das die israelische Armee „Metro“ nennt. Es handelt sich um ein weit verzweigtes, kilometerlanges System aus Tunneln. Es birgt für die israelische Armee enorme Herausforderungen. Denn greift Israel die Tunnel an, kann es wegen der dichten Besiedlung im Gazastreifen auch zu Opfern in der Zivilbevölkerung kommen.Dass militante Organisationen im Nahen Osten Tunnel bauen, ist weit verbreitet. Auch die Hisbollah im Libanon versucht so, geheime Wege nach Israel zu schaffen, um möglicherweise anzugreifen.Von Benjamin Hammer, ARD-Studio Tel Aviv
Bemühungen um Waffenruhe
Israel mobilisierte Tausende Reservisten, die für eine Bodenoffensive eingesetzt werden könnten. Doch bisher gibt es keine Anzeichen eines Einmarsches. Hamas-Sprecher Abu Obeida sagte, seine Organisation habe keine Angst vor einer israelischen Bodenoffensive. Diese erhöhe nur die Chance, Soldaten zu töten oder gefangen zu nehmen.
Ägyptischen Sicherheitskreisen zufolge lehnte Israel ein Angebot der Regierung in Kairo zur Vermittlung einer Feuerpause ab. Die Vereinten Nationen forderten, die Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen für Treibstoff- und Hilfslieferungen zu öffnen. In dem abgesperrten Gebiet leben etwa zwei Millionen Palästinenser. Nach UN-Schätzungen mussten rund 10.000 Palästinenser aufgrund der anhaltenden Kämpfe ihre Häuser in Gaza verlassen. Aus den Randbezirken von Gaza-Stadt flohen Palästinenser mit hastig gepackten Habseligkeiten, wie ein Sprecher des Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) sagte. Tausende seien in die 16 Schulen der Hilfsorganisation eingebrochen, um dort Unterschlupf zu finden.
Konflikt im Nahen Osten – Zerstörung im Gazastreifen
Susanne Glass, ARD Tel Aviv, tagesthemen 21:45 Uhr, 14.5.2021
US-Diplomat als Vermittler
Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas forderte die US-Regierung zur sofortigen Intervention wegen der Gewalt mit Israel auf. Abbas mache die israelische Regierung komplett für die Eskalation am Freitag verantwortlich, teilte das Präsidialbüro mit.
Im Konflikt vermitteln will jetzt der US-Spitzendiplomat Hady Amr, der am Freitagabend in Israel eintraf. US-Außenminister Antony Blinken hatte am Mittwoch gesagt, er habe Amr gebeten, sich mit Vertretern der Israelis sowie der Palästinenser zu treffen, um im Namen von US-Präsident Joe Biden um Deeskalation zu werben. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, betonte zuletzt erneut das Selbstverteidigungsrecht Israels. Die Biden-Regierung sei auf allen Ebenen engagiert, um eine Deeskalation der Gewalt zu erreichen. Psaki fügte hinzu, der Verlust von Leben sei tragisch – „ob es palästinensische oder israelische Leben sind“.
Demonstrationen in anderen Ländern
In vielen Ländern kam es zu pro-palästinensischen Protesten. In Jordanien versammelten sich einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Petra zufolge mehrere Hundert Demonstranten nahe der Grenze zu Israel. Im Südlibanon wurden zwei Demonstranten durch Warnschüsse von Panzern tödlich verletzt. Ein 21-Jährige war zuvor mit Dutzenden anderen über den Grenzzaun auf israelisches Gebiet gelangt, berichtete die staatliche libanesische Agentur NNA. Ein zweiter Demonstrant sei angeschossen worden. Er erlag später seinen Verletzungen, wie Sicherheitskreise bestätigten.
In Berlin fand ebenfalls eine Demonstration mit mehreren Hundert Teilnehmern statt. Vereinzelt waren nach Polizeiangaben auch Rufe wie „Kindermörder Israel“ zu hören. Auch am Samstag wollen in Berlin verschiedene pro-palästinensische Gruppen auf die Straße gehen. In den vergangenen Tagen hatte es in mehreren deutschen Städten antisemitische und anti-israelische Demonstrationen gegeben. Es wurden Israel-Flaggen angezündet, teils antisemitische Parolen skandiert. Die Bundesregierung verurteilte antisemitische Demonstrationen und Aktionen in Deutschland scharf und stellte jüdischen Einrichtungen zusätzlichen Schutz in Aussicht.
Angst vor neuen Protesten am Tag der Nakba
Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hatte sich während des muslimischen Fastenmonats Ramadan und nach der Absage der palästinensischen Parlamentswahl zugespitzt. Als Auslöser gelten etwa Polizei-Absperrungen in der Jerusalemer Altstadt, die viele junge Palästinenser als Demütigung empfanden. Hinzu kamen Auseinandersetzungen von Palästinensern und israelischen Siedlern im Jerusalemer Viertel Scheich Dscharrah wegen Zwangsräumungen sowie heftige Zusammenstöße auf dem Tempelberg. Die Anlage mit Felsendom und Al-Aksa-Moschee ist die drittheiligste Stätte im Islam. Sie ist aber auch Juden heilig, weil dort früher zwei jüdische Tempel standen. Die islamistische Hamas hat sich zum Verteidiger Jerusalems erklärt. Sie wird von Israel und der EU als Terrororganisation eingestuft.
Am Samstag ist Tag der Nakba (Katastrophe). Die Palästinenser gedenken dann der Vertreibung und Flucht Hunderttausender Palästinenser im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948. Befürchtet werden neue gewaltsame Proteste. In diesem Jahr fällt der Tag zusammen mit dem dritten Tag des Eid-al-Fitr-Festes, des sogenannten Zuckerfestes zum Ende des Ramadans.
