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Merkel im Bundestag: Die Freiheit der anderen
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Kanzlerin Merkel müht sich ab, die harten Einschnitte ab der kommenden Woche zu erklären. Und wendet sich kaum direkt ans Parlament, das sich zunehmend übergangen fühlt. Ob das klug ist?
Eine Analyse von Corinna Emundts, tagesschau.de
Was für ein vertrackter Moment. Die Bundeskanzlerin spricht kaum zwei Minuten – und wird von der AfD-Fraktion laut unterbrochen. So massiv, dass Angela Merkel stockt und sich schließlich Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble an die Parlamentarier wendet: Mit ungewöhnlich vielen und eindringlichen Worten beschreibt er die „außergewöhnlich schwierige Lage“ des Landes und bittet um Aufmerksamkeit für die Regierungserklärung. In dem Moment, in dem Merkel eben anhob, die neuen Maßnahmen erklären zu wollen.
Deswegen vertrackt, weil ebendieser Schäuble in seiner Rolle als ranghöchster Parlamentarier vor gut einer Woche erst in einem sehr deutlichen internen Brief an alle Fraktionsvorsitzenden gemahnt hatte, der Bundestag müsse seine Rolle als Gesetzgeber und öffentliches Forum deutlich machen, „um den Eindruck zu vermeiden, Pandemiebekämpfung sei ausschließlich Sache von Exekutive und Judikative“. Dem lag eine Stellungnahme seiner Verwaltung bei, die dies nochmals verdeutlichte.
Auch die Rolle des Parlaments steht zur Debatte
Die Stimmung bei vielen Parlamentariern ist also schlecht bis aufgeheizt an diesem Tag: Weil sie sich durch immer weitere Corona-Rechtsverordnungen, die Merkel mit den Bundesländern bespricht, an den Rand gedrängt fühlen. Erst recht durch den am Vortag von Merkel mit den Ministerpräsidenten beschlossenen großen Maßnahmenkatalog. Man fragt sich, ob es von Merkel nicht klüger gewesen wäre, als Kanzlerin hier und heute auch diesen Unmut deutlich aufzugreifen.
Die AfD scheint also in diesem Moment von der Schäuble-Vorlage noch bestärkt, so wirkt es jedenfalls, Merkel noch lautstarker an die Gewaltenteilung der Demokratie zu erinnern. Aber nach Merkels Regierungserklärung wird auch in den Reden der anderen Oppositionsparteien deutlich, dass auch sie dieses Thema umtreibt. Selbst der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Rolf Mützenich, greift das Thema auf – und macht allen demokratischen Parteien ein Angebot, sich gemeinsam Gedanken über eine bessere Beteiligung des Parlaments in Corona-Zeiten zu machen.
Die Kanzlerin hatte sich offenbar entschieden, auf die Parlamentsfrage in ihrer heutigen Rede nicht einzugehen – zu spürbar ist ihre Absicht, die neuen Maßnahmen gerichtsfest zu erklären. Deswegen nennt sie immer wieder die drei Worte: die Maßnahmen seien „geeignet, erforderlich und verhältnismäßig“. Denn genau dies wurde im Vorfeld unter anderem von der FDP angezweifelt.
Ihre Adressaten in diesem Moment sind nicht die Abgeordneten, sondern die Menschen im Lande. Von denen viele noch nicht verstehen mögen, weshalb für den weiteren Verlauf die geltenden Abstands- und Hygieneregeln nicht ausreichen, sei es im Sportverein, sei es im Restaurant. Sie versucht, auf diese einzugehen: „Ich verstehe die Frustration sehr.“ Wiederholt listet sie ihre Gründe auf, weswegen es jetzt um Einschränkung der Kontakte gerade im Privaten und Freizeitbereich gehe. Ob das reicht?
Ob für jeden klar wird, dass sie gerade nicht weniger als einen Paradigmenwechsel der Corona-Politik ankündigt? Schließlich heißt es jetzt: Bleibt am besten zuhause. Ihre Erklärungen wirken routiniert und ein wenig müde – vermutlich hat sie es in den vergangenen Tagen und Wochen zu oft in ihren Gesprächen mit den Ländern herunterbeten müssen.
Denn Merkel, in solchen Fällen erkennbar noch die scharfsinnige ehemalige Naturwissenschaftlerin, hatte früh in internen Runden auf den exponentiellen Anstieg der Infektionskurve und die damit verbundenen Risiken gerade auch für Intensivstationen hingewiesen. Zu einem Zeitpunkt, als es mancher Ministerpräsident aus ihrem eigenen Lager nicht so sehen wollte.
Etwas müde, aber markante Sätze im Gepäck
Dabei hat sich diese Angela Merkel, der immer wieder vorgeworfen wurde, ihre Politik nicht gut zu erklären, durchaus in ihrer Rhetorik gewandelt und verändert. Sie hat markante Sätze im Gepäck: Freiheit bedeute nicht, jeder tue was er wolle, sondern „Freiheit ist gerade jetzt Verantwortung – für sich selbst, für die eigene Familie und darüber hinaus für uns alle“.
Und schließlich beschreibt sie auch ihr eigenes Unbehagen fast wie von einer Kirchenkanzel aus: Die nun anstehenden Maßnahmen träfen „uns im Kern unseres menschlichen Miteinanders.“ Als sie sich ein einziges Mal in Richtung AfD wendet, deren Einwürfe sie ansonsten stoisch ignoriert, da hat sie den großen Applaus auch von Grünen und Linksfraktion: „Lüge und Desinformation, Verschwörung und Hass beschädigen nicht nur die demokratische Debatte, sondern auch den Kampf gegen das Virus.“
Und doch: An diesem denkwürdigen Tag im Bundestag im Parlament ist es ein anderer, aus dem die Wucht der Pandemie, der Maßnahmen, der vielschichtigen Krise, so lautstark herausbricht, dass alle aufhorchen, auch Merkel selbst. Der Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus redet sich minutenlang in Rage: Freiheit sei nicht nur die Freiheit der Starken und Jungen, sondern auch der Alten und Schwachen. Die Corona-Krise, die nun auch das Parlament in eine Sinnkrise stürzt, scheint dort inzwischen Kräfte zu wecken.
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