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Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen: Wo der „Impfturbo“ nicht zündet
Stand: 01.09.2021 10:53 Uhr
In Magdeburg fährt eine „Impf-Straßenbahn“, woanders gibt es eine Bratwurst nach dem Piks: Doch auch diese Aktionen ändern wenig an der eher dürftigen Impfquote in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Woran liegt das?
Nirgendwo sonst in Deutschland sind die Inzidenzwerte derzeit so niedrig wie in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Man muss wohl sagen: noch so niedrig. Denn die Schulferien enden hier erst in den nächsten Tagen. Und beim Impfen gegen Covid-19 hinken die drei Länder hinterher. Seit Wochen belegen sie gemeinsam mit Brandenburg deutschlandweit die letzten Plätze bei den Impfquoten.
Der „Impfturbo“, den etwa Sachsen-Anhalts Landesregierung noch im Juli einlegen wollte, hat offenbar nicht gezündet. Ende August ließen sich etwas mehr als 17.000 Menschen pro Woche erstmals impfen, ziemlich genau so viele wie Ende Juli. Noch im Frühling waren es fast 100.000 gewesen. Doch ebbte im Sommer die dritte Corona-Welle ab, mehrere Landkreise meldeten tagelang keinen einzigen Fall. Die Impfbereitschaft sank. Ein Effekt, der weltweit zu beobachten war.
Auch in Thüringen und Sachsen lässt die Trendwende seitdem auf sich warten. So sind in den drei Ländern erst zwischen 52 Prozent und 57 Prozent der Menschen vollständig geimpft, in Schleswig-Holstein sind es bereits mehr als 64 Prozent.
Erklären lässt sich das auf den ersten Blick nur schwer. Relativ zur Bevölkerungszahl gemessen starben in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt mehr Menschen in Zusammenhang mit Covid-19 als in jedem anderen Bundesland. Von den etwas mehr als ein Dutzend Landkreisen in Deutschland, in denen während der zweiten und dritten Corona-Welle bezogen auf die Einwohnerzahl besonders viele Menschen gestorben sind, liegen fast alle hier.
Eine überdurchschnittlich hohe Impfquote kann davon nur der sächsische Vogtlandkreis aufweisen. Sie liegt hier bei 64 Prozent. Die Kreisverwaltung verweist dazu auf ein Pilotprojekt. Ende des Winters, als die sächsischen Krematorien an ihre Grenze kamen, stellte der Freistaat Sachsen hier zusätzliche Impfmobile und -zentren bereit. Kurz darauf wurde die Priorisierung der Impfgruppen aufgehoben. Gleichzeitig fuhr man eine Aufklärungskampagne mit Plakaten und Anzeigen.
Ein Arzt impft einen Fußballfan vor einem Spiel – wie hier in Magdeburg gab es in vielen Orten besondere Impfaktionen.
Bild: dpa
Strukturelle Probleme
Anderswo gab es das nicht. Hinzu kamen neben Verzögerungen mit Impfstofflieferungen auch strukturelle Probleme. So bieten nach Erhebungen des sächsischen Sozialministeriums nur zwei von drei Praxen, die impfen könnten, die Impfung auch an. Dabei sind laut einer Studie der Berliner Humboldt-Universität gerade die Hausärztinnen und Hausärzte mitentscheidend für die Impfbereitschaft älterer Menschen.
Obendrein sind etwa die sächsischen Impfzentren teils nur schwer mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, wie ein Mitglied der dortigen Impfkommission gegenüber dem MDR einräumte. Und auch die Betriebsärztinnen und Betriebsärzte setzen gerade in Thüringen und Sachsen weit weniger Spritzen als im Bundesdurchschnitt. Sie können den seit Juli abflauenden Zulauf in den Impfzentren nicht kompensieren.
In Aue-Bad Schlema (Sachsen) nimmt eine junge Frau nach ihrer Impfung gegen das Coronavirus im Kulturhaus eine Bratwurst entgegen. Ähnliche Aktionen gab es auch in anderen Orten in der Region.
Bild: dpa
„Impf-Straßenbahn“ und Gratis-Bratwürste
Die Kommunen versuchen vielerorts, auf anderen Wegen dagegen zu steuern: In Magdeburg konnten sich Menschen am Rande eines Drittligaspiels des lokalen Fußballclubs impfen lassen, seit vergangenem Wochenende fährt eine „Impf-Straßenbahn“ durch die Stadt. In Sonneberg, im fränkischen Süden Thüringens, gab es Gratis-Bratwürste zur Spritze. In sozialen Medien brach Häme über den kleinen Ort herein, aber: Die Aktion war ein Erfolg. Der Impfandrang verdoppelte sich zeitweise.
Dass die Impfbereitschaft dennoch in der Region relativ verhalten bleibt, wird oft auch mit den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen erklärt. Die sind hier teils sehr radikal. Die rechtsextreme Partei „Freies Sachsen“, gegründet während der Pandemie, hat gerade erst dafür gesorgt, dass die sächsische SPD-Sozialministerin Petra Köpping einen Wahlkampftermin angesichts der Bedrohungslage absagen musste. Der in Jena und Magdeburg arbeitende Soziologe Matthias Quent warnte schon im November, in manchen Kommunen gäre „eine gefährliche Stimmung“.
Ein Flächenbrand blieb aber aus. Vielerorts werben Verantwortliche unermüdlich für die Impfungen. Doch nicht alle ziehen voll mit. Manche überschätzen möglicherweise auch die Auswirkungen der letzten Corona-Welle. Schließlich hat jede vergangene Welle auch Zehntausende Genesene produziert, die nun als vorerst immun gelten.
Herdenimmunität erreicht?
So wandte sich der Landrat des Landkreises Bautzen Mitte August an die Bundeskanzlerin. Sie solle die Corona-Maßnahmen zurücknehmen. Ein Argument des Politikers: Die sogenannte Herdenimmunität dürfte angesichts der vielen Impfungen und „unter Einbeziehung der bisher Genesenen“ erreicht sein.
Das lässt sich mit offiziellen Zahlen nicht belegen. Zählt man Geimpfte und Genesene im Landkreis Bautzen zusammen, kommt man etwa auf die Hälfte aller Einwohner. Als Zielmarke für die Herdenimmunität gelten allgemein 70 Prozent. Laut Robert Koch-Institut (RKI) wird auch aufgrund neuer Varianten mittlerweile sogar eine reine Impfquote von 85 bis 90 Prozent benötigt.
Überzeugte Impfskeptiker in Sachsen
Die Landesregierungen haben sich diesem Ziel verschrieben. Das RKI geht derzeit allerdings nicht davon aus, dass Deutschland die Herdenimmunität noch vor Herbst erreichen kann. In Sachsen dürfte das vor allem auch wegen überzeugter Impfskeptiker kaum zu schaffen sein. Laut einer Studie der TU Dresden muss etwa jeder fünfte Sachse als impfskeptisch gelten. Zwölf Prozent schlossen eine Impfung gar komplett aus.
Im Erzgebirgskreis, den Landkreisen Bautzen und Görlitz gilt mehr als jeder Vierte als Impfskeptiker. Überdurchschnittlich oft finden sie sich bei den unter 50-Jährigen, Arbeitern und Selbstständigen, Geringverdienenden und Kinderlosen – und bei Anhängern der AfD. Deren Politikerinnen und Politiker stellten den Sinn der Impfungen wiederholt infrage.
Maik Herold, Mitautor der Studie, spricht in Interviews dennoch von einem „Graubereich“. Er vermutet auch eine historisch geprägte Ablehnung äußerer Eingriffe hinter der Haltung der Menschen. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, will eine „Grundaufgeregtheit“ gegenüber dem Thema Corona wahrgenommen haben. Der CDU-Politiker stammt aus dem Erzgebirge.
Dass es auch anders geht, zeigt erneut der Vogtlandkreis: Laut Dresdner Studie ist die Impfskepsis hier deutlich niedriger, wohl auch aufgrund der Aufklärungskampagne im Kreis. Demografisch unterscheidet man sich nur wenig vom Erzgebirgskreis gleich nebenan. Ob sich mit den bislang erreichten Quoten eine vierte Welle verhindern lässt, werden die nächsten Wochen zeigen.