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Flutkatastrophe: Zahl der Todesopfer steigt weiter
Stand: 17.07.2021 02:13 Uhr
Vielerorts schreiten die Bergungsarbeiten voran, immer mehr Todesopfer werden bekannt. Im Kreis Heinsberg mussten Rettungskräfte Hunderte Menschen in Sicherheit bringen, nachdem ein Damm gebrochen war. Die Wetterlage bleibt angespannt.
Die Lage in den schwer von der Unwetterkatastrophe betroffenen Gebieten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen bleibt unübersichtlich. Während vielerorts die Bergungsarbeiten voranschreiten, erhöhte sich die Zahl der bekannt gewordenen Todesopfer auf 108. Zahlreiche Menschen werden weiterhin vermisst.
Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) gab im SWR am Freitagabend den Fund von zwei weiteren Leichen bekannt und bezifferte die Zahl der Toten in seinem Bundesland auf 65. Darunter waren zwölf Bewohner einer Behinderteneinrichtung in Sinzig, die nicht mehr gerettet werden konnten und hilflos ertranken. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sprach von mindestens 43 Toten in seinem Bundesland.
Tausende ohne Strom
Mit Gesamtangaben zu Vermissten hielten sich die Behörden weitgehend zurück. Im besonders betroffenen rheinland-pfälzischen Kreis Ahrweiler ist seit Donnerstagabend die Zahl der vermissten Menschen unklar. Da das Mobilfunknetz und die Telefonleitungen ausgefallen sind, gibt es keine Möglichkeit der telefonischen Kontaktnachverfolgung.
Dramatische Szenen spielten sich auch im südlich von Köln gelegenen Erftstadt ab. Die über die Ufer getretene Erft unterspülte zahlreiche Häuser und brachte diese ganz oder teilweise zum Einsturz. Es kam zu Erosion, wodurch größere Bodenbereiche wegbrachen. Die Behörden gehen von mehreren Toten aus, konnten aber auch im Lauf des Freitags keine genauen Angaben zur Opferzahl machen.
Die Infrastruktur in den betroffenen Gebieten fiel zeitweise vollständig aus. Dazu kamen eine Reihe zerstörter oder nicht benutzbarer Straßen und Bahnstrecken. Im Kreis Ahrweiler riss eine Erdgasleitung, es droht ein wochenlanger Ausfall der Gasversorgung. Am Freitag waren in beiden Bundesländern noch rund 102.000 Menschen ohne Strom.
Das erschütternde Ausmaß der Zerstörung im Kreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz
Carina Kopp, SWR, tagesthemen 22:15 Uhr, 16.7.2021
Dammbruch im Kreis Heinsberg
Während sich die Lage an der Steinbachtalsperre entspannte und Wasser kontrolliert abgelassen werden konnte, brach im Kreis Heinsberg am Freitagabend ein Damm. Die Ortschaft Ohe wurde vollständig evakuiert, die Evakuierung des Wassenberger Ortsteils Ophovens wurde am Abend eingeleitet. Betroffen sind davon 700 Menschen. Aufgrund der Hochwasserlage könnten auch Teile der Ortschaften Effeld und Steinkirchen überflutet werden. Dort leben knapp 1600 Menschen. Die beiden Orte mussten aber zunächst nicht evakuiert werden.
Wie der WDR berichtet, liegt die Ursache laut Bürgermeister Marcel Maurer darin, dass an der Stelle, wo die Rur in die Maas fließt, auf niederländischer Seite Schleusenklappen geschlossen wurden, sodass es momentan zum Rückstau kommt. Der Bürgermeister nahm Kontakt mit den Niederländern auf, damit dort wieder die Schleusen geöffnet werden.
Wetterlage weiter angespannt
Auch in Baden-Württemberg machten Unwetter und Hochwasser den Menschen zu schaffen. In einigen Regionen wurden Straßen gesperrt, im Allgäu stand ein Wohngebiet unter Wasser. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) warnt vor Starkregen und Gewittern etwa in Oberschwaben. Vor allem in kleineren Gewässern könne der Wasserstand schnell ansteigen. Den Angaben des DWD zufolge werden Starkregen und Überschwemmungen auch in Bayern erwartet.
Das Landesamt für Umwelt Rheinland-Pfalz meldete bis Samstagmorgen zwar für fast das ganze Bundesland eine geringe Hochwassergefährdung. In der Region rund um Altenahr sowie in Teilen der Eifel seien aber noch immer vereinzelte Überflutungen möglich. In NRW wird mit fallenden Wasserständen gerechnet, dies werde aber teils nur langsam geschehen. Die Pegelstände bewegten sich oft noch oberhalb der Warnschwellen, so das Landesumweltamt.
Landsberg: „Nationaler Kraftakt“ erforderlich
Während die Bergungsarbeiten andauern, werden Rufe nach raschen Hilfen von Bund und Ländern lauter. Angesichts der weitgehenden Zerstörung der Infrastruktur in den Überschwemmungsgebieten sei ein „nationaler Kraftakt des Bundes und der betroffenen Bundesländer“ erforderlich, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Der Wiederaufbau müsse von Bund und Ländern „schnell und unbürokratisch organisiert und finanziert“ werden. Es müssten kurzfristig Ersthilfen bereitgestellt werden, aber auch Finanzzusagen für nötige Baumaßnahmen erfolgen, forderte Landsberg.
Bundesregierung will Hilfspaket schnüren
Das Bundeskabinett will am Mittwoch über Hilfen für die Betroffenen beraten, wie ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums zuvor mitgeteilt hatte. Ressortchef Olaf Scholz (SPD) führe Gespräche innerhalb der Bundesregierung, um schnelle Hilfe zu leisten.
Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) betonte dem „Spiegel“ gegenüber, dass am Mittwoch über Hilfen im Kabinett beraten werden soll. Details wolle er nicht nennen, bevor es ein klares Bild vom Ausmaß der Schäden gebe. „Aber Sie können davon ausgehen, dass es ein großes Paket sein wird“, sagte Seehofer. Beim sogenannten Jahrhunderthochwasser, von dem 2013 acht Bundesländer betroffen waren, hatte die Bundesregierung einen Fluthilfefonds über acht Milliarden Euro aufgelegt.
Aufräumhilfe in Schuld/Rheinland-Pfalz
S. Biegger/U. Spangenberger, SWR, tagesthemen 22:15 Uhr, 16.7.2021
Rheinland-Pfalz stellte als kurzfristige Unterstützung 50 Millionen Euro bereit, um etwa Schäden an Straßen, Brücken und anderen Bauwerken zu beheben. NRW-Regierungschef Laschet kündigte ein mehrstufiges Hilfsprogramm für die Opfer der Unwetterkatastrophe in seinem Bundesland an. Die bisher für Soforthilfen bei Starkregenereignissen zur Verfügung stehenden Mittel würden „bei weitem nicht ausreichen“.
Steinmeier besucht Erfstadt
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will heute gemeinsam mit Ministerpräsident Laschet Erftstadt besuchen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) plant nach Angaben aus dem Kanzleramt einen „baldigen Besuch im Katastrophengebiet“.
Bereits vor Ort ist Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Sie reiste nach dem Abbruch ihres Urlaubs in die Krisengebiete. Wie eine Sprecherin mitteilte, will sich die Parteichefin dort über die Lage der Menschen informieren. Dabei verzichte sie bewusst auf Pressebegleitung oder öffentliche Auftritte. Den Angaben zufolge traf Baerbock bereits am Freitag in Mainz ein, für Samstag sind weitere Termine in Nordrhein-Westfalen angesetzt.