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Interview zur Kultusminister-Konferenz: „Letztlich versagt“
Interview
Stand: 08.04.2021 18:07 Uhr
Schulen auf, Schulen zu. Testen ja, aber wie? In der Corona-Pandemie zeigen sich die großen Defizite der Kultusministerkonferenz. Bildungsjournalist Spiewak erklärt, wie das Gremium reformiert werden müsste.
tagesschau.de: Heute tagte wieder die Kultusministerkonferenz (KMK), und es ging natürlich um die Schulen in der Pandemie: Wie viel ist von solchen Treffen zu erwarten?
Martin Spiewak: Nicht besonders viel, wenn man sich anschaut, wie die vorigen Treffen gelaufen sind. In der Regel einigt man sich auf irgendeinen kleinsten gemeinsamen Nenner und bleibt relativ unkonkret.
Zur Person
Martin Spiewak ist Autor und Redakteur im Ressort Wissen bei „Der Zeit“. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Themen Bildung und Wissenschaft.
„KMK war nicht schlechter als andere Politikbereiche“
tagesschau.de: Hat die KMK den Schulen, Eltern, Lehrerinnen und Lehrern bei der Bewältigung der Pandemie geholfen?
Spiewak: Zwar herrscht in dieser Pandemie in der KMK mehr Einigkeit als jemals zuvor. Aber angesichts dieser extremen Krise, in der man sehr schnell und so einheitlich wie möglich handeln muss, hat die KMK letztlich versagt. Was Eltern und Lehrer sich gewünscht haben, nämlich eine vorausschauende und bundesweit übergreifende Handlungsstrategie, gab es nicht.
Andererseits muss man sagen: Das hat die Politik ja insgesamt nicht geschafft. Da war also die KMK nicht besser und nicht schlechter als die anderen Politikbereiche, sondern genauso überfordert.
tagesschau.de: Beim jüngsten Beschluss hieß es, dass alle Entscheidungen der KMK zum Präsenzbetrieb „durch Hygienemaßnahmen und flächendeckende Testmöglichkeiten flankiert“ werden. Wo sind denn diese Tests?
Spiewak: An den Schulen wird durchaus getestet. Aber diese Formulierung „flächendeckende Testmöglichkeiten“ zeigt schon das Problem: Es soll sehr konkret klingen, ist aber maximal unkonkret. Man könnte darunter verstehen: Wir testen die Schüler jeden Tag in der Schule unter Aufsicht. Oder: Es gibt einmal in der Woche oder einmal im Monat einen Test, den jeder irgendwie zu Hause machen kann.
Man hat also versucht, sich auf etwas zu einigen, aber wie genau das aussehen soll, kann von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ausgelegt werden.
„Am Ende zählen die Landesinteressen“
tagesschau.de: Aber wäre nicht die KMK das Gremium, das eine genau geregelte Testpflicht – wie sie sich viele wünschen – verbindlich für alle Schulen in diesem Land beschließen und dann auch für die Durchsetzung sorgen müsste?
Spiewak: Im Prinzip ja. Aber die KMK selbst hat sich nie als ein solches Gremium verstanden. Und selbst wenn sie sich so verstehen würde, hätte sie gar nicht die politische Kompetenz oder Kraft das in Deutschland durchzusetzen.
Beispiel Abitur: Da musste es wirklich großen Druck von außen und starke Kritik geben, damit die KMK sich unter Schmerzen zu Minimalstandards durchgerungen hat. Und dieser Prozess dauert jetzt schon fast zehn Jahre und wird noch mindestens fünf Jahre brauchen. Das liegt auch daran, dass – egal, was die Kultusminister beschließen – es am Ende noch einen Ministerpräsidenten geben kann, der sagt: Was ihr wollt, interessiert mich nicht, wir machen es anders.
Das hat man von Anfang an auch in der Corona-Krise gesehen. Da hatte die KMK beim allerersten Beschluss im März 2020 gesagt: Wir lassen die Schulen offen, weil die Schulpflicht gerade für die schwächeren Schüler wichtig ist. Und zwei Tage später haben die Ministerpräsidenten die Schulen geschlossen. Mal ganz abgesehen davon, ob das nun richtig oder falsch war: Abgesprochen hatten sie sich mit den Kultusministern jedenfalls nicht. Am Ende sind dann doch die einzelnen Landesinteressen ausschlaggebend für die Entscheidungen.
tagesschau.de: Wozu braucht es dann dieses Gremium überhaupt noch, wenn am Ende doch jeder macht, was er will?
Spiewak: Weil es dennoch eine gewisse Abstimmung braucht. Und nur weil die Koordination zu gering ist, heißt das ja nicht, dass es gar keine Abstimmung gäbe. Wir haben ja ein gemeinsames Abitur. Es gibt gemeinsame Absprachen beispielsweise für die Schulferien, damit nicht alle gleichzeitig Urlaub machen.
Wir brauchen eine gegenseitige Anerkennung der Lehrerausbildung und so weiter. Das alles gibt es in irgendeiner Weise, wenn es auch noch verbesserungswürdig ist. Wir brauchen dieses Gremium dringender denn je, aber stärker, anders organisiert und mit größerer Verbindlichkeit.
„Es bräuchte eine politische Spitze und Verwaltung“
tagesschau.de: Wie genau könnte das aussehen?
Spiewak: Ein Problem ist bislang, dass es keine richtige politische Spitze in diesem Gremium gibt. Die 16 Kultusminister wählen für jedes Jahr einen neuen Präsidenten oder eine Präsidentin und die brauchen dann ungefähr ein halbes Jahr, um sich einzuarbeiten. Dann nehmen sie sich ein oder zwei Themen vor, die sie symbolisch setzen und zu denen sie auch ein/zwei Konferenzen machen. Aber wenn der oder die Präsidentin gerade richtig im Thema ist, kommt schon der nächste. Es bräuchte aber eine politische Spitze, die länger als ein Jahr im Amt ist. Denn in einem Jahr kann niemand etwas durchsetzen.
tagesschau.de: Die Präsidentschaft allein wird aber noch nicht viel ausrichten können …
Spiewak: Genau. Ein weiteres sehr großes Problem ist, dass die KMK keinen richtigen Unterbau, also im Prinzip keine Verwaltung hat. Wenn jemand irgendwelche bundesweiten Zahlen oder Daten über Schulen haben will, bekommt er die in der Regel nicht bei der KMK, sondern woanders. Jede Präsidentschaft arbeitet mit einem sehr kleinen Stab und kann damit wenig erreichen. Zumal ja nebenbei auch noch die Aufgaben der Schul- und Bildungspolitik des eigenen Bundeslandes zu managen sind. Das schränkt die politische Handlungsfähigkeit extrem ein.
Auch hier bräuchte man ein viel stärkeres Sekretariat, man bräuchte Experten und den Mut, diese Präsidentschaft für eine gewisse Zeit mit Autorität auszustatten, damit sie sich nicht bei jedem Thema zuerst mit 16 Kolleginnen und Kollegen rückversichern muss.
„Länder werden Bildungshoheit nicht aufgeben“
tagesschau.de: Bräuchte es nicht vielleicht ein ganz anderes Gremium, das bundesweit die Bildungspolitik koordiniert und reformiert? Es gibt ja bereits Planungen zu einer Art Bildungsrat.
Spiewak: Ich halte – trotz großer Kritik von vielen Seiten – viel von der Idee eines nationalen Bildungsrats, der jetzt ja „wissenschaftliche Kommission“ heißen soll. Aber nur, wenn diese Kommission tatsächlich unabhängig arbeitet und mit Leuten besetzt ist, die mit wissenschaftlicher Expertise, aber auch mit politischem Gespür größere Themen setzen können. Und die dann Vorlagen und Empfehlungen für die Kultusminister erarbeiten, an denen diese nicht einfach vorbei kämen. Das würde für eine gewisse Einheitlichkeit und auch Rationalität in der Bildungspolitik sorgen.
tagesschau.de: Kritiker des „Bildungs-Flickenteppichs“ gehen noch weiter und wollen den Bildungsföderalismus ganz abschaffen. Wäre das besser?
Spiewak: Man kann das so sehen, es ist aber völlig unrealistisch. Die Länder würden nie auf dieses „Kronjuwel des Föderalismus“ – wie man die Bildungshoheit mal nannte – verzichten. Ich sehe auch nicht, dass die Bildungspolitik in zentral organisierten Staaten, wie zum Beispiel Frankreich, besser läuft als hier. Auch nicht in der Corona-Politik.
Es muss stärkere Absprachen geben zwischen Bund und Ländern. Der Bund sollte auch durchaus gewisse Dinge entscheiden können und hat mehr Mitsprache verdient. Gerade das Thema Digitalisierung ist da ein gutes Beispiel. Das würde vieles beschleunigen. Aber, dass es nun ein bundesweites Schulministerium gibt, das womöglich von Berlin aus entscheidet, wie die Lehrpläne in Bayern auszusehen haben oder die Schulleitung im Saarland besetzt, halte ich weder für wünschenswert noch für realistisch.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.