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Interview: „Wir brauchen sofort einen harten Lockdown“

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Interview: „Wir brauchen sofort einen harten Lockdown“

Interview

Stand: 06.04.2021 17:58 Uhr

Auch wenn neue, härtere Maßnahmen längst überfällig seien – Laschets Begriff vom „Brücken-Lockdown“ hält Virologe Keppler für irreführend. Da schwinge ein Versprechen mit, das sich nicht so bald einlösen lasse.

tagesschau.de: CDU-Chef Armin Laschet hat sich für einen „Brücken-Lockdown“ ausgesprochen. Ist das eine gute Idee?

Oliver Keppler: Ich glaube nicht, dass dieser Begriff wirklich sinnvoll ist. Letztlich geht es doch darum, dass wir bei steigenden Inzidenzen eine weitere Verschärfung von Maßnahmen brauchen. Und da ist völlig klar, dass jetzt ein harter Lockdown kommen muss. Was genau das heißt und welche Maßnahmen es braucht, darüber muss man diskutieren.

Der der Begriff der „Brücke“ soll ja offenbar einen motivierenden Hoffnungsbogen spannen. Eine Brücke bis zu einem Zeitpunkt, zu dem die Immunität in der Bevölkerung durch die Impfung einen relevanten Effekt auf die Neuinfektionen hat und wir wieder auf strengere Maßnahmen verzichten können. Dieses Versprechen aktuell mitschwingen zu lassen, halte ich für schwierig. Denn dass wir durch Impfung der Gesamtbevölkerung einen größeren Effekt auf das Infektionsgeschehen haben werden, liegt noch in weiter Ferne.

Zur Person
Oliver Keppler ist Vorstand des Max von Pettenkofer-Instituts an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zugleich hat er dort den Lehrstuhl für Virologie inne.

„Impftempo wird keinen Einfluss auf dritte Welle haben“

tagesschau.de: Ab wann würde dieser Effekt denn eintreten?

Keppler: Dafür müsste die Impfquote bei der Bevölkerung aus meiner Sicht über 50 Prozent sein. Wann das erreicht ist, lässt sich schwer prognostizieren. Die vergangenen Wochen haben doch gezeigt, von wie vielen unvorhersehbaren Faktoren die Impfkampagne beeinflusst werden kann. Die verfügbare Menge der Impfstoffe ist aktuell das Nadelöhr.

tagesschau.de: Also in zwei bis drei Wochen – der Zeitraum, den Laschet für einen sogenannten Brücken-Lockdown ins Spiel gebracht hat – wird es noch keine Erleichterung durch das Impfen geben?

Keppler: Nein, das ist reines Wunschdenken. Wer glaubt, die Infektionszahlen dieser dritten Welle in den kommenden Wochen in irgendeiner Weise durch das Impftempo in Deutschland beeinflussen zu können, hängt einer Illusion nach.

Wo das Impfen tatsächlich sehr schnelle Effekte hat, sind die Todeszahlen. Das sehen wir ja jetzt schon deutlich und das wird sich auch noch verstärken, indem wir weiterhin die Impfpriorität bei den Risikogruppen für schwere COVID-19-Verläufe setzen. Die Zahl der Todesfälle bei den über 80-Jährigen ist drastisch gesunken. Das ist großartig.

Wir sehen uns nun allerdings mit einer ungünstigen Entwicklung der Pandemie konfrontiert, dass die neue sogenannte britische Variante des Virus, B.1.1.7, die bei uns bereits über 80 Prozent aller Neuinfektionen ausmacht, leichter auch jüngere Leute infiziert und bei dieser Gruppe auch zu schwereren Verläufen führt. Wir sehen zunehmend auch Patienten weit unter 60 auf den Intensivstationen. Die Letalität von COVID-19 steigt.

Mal ganz davon abgesehen, dass selbst bei einer Impfquote von 50 Prozent, die andere Hälfte der Bevölkerung immer noch ungeimpft ist und weiterhin einem Infektions- und Erkrankungs-Risiko ausgesetzt ist. Das heißt, auch dann kann man noch nicht einfach alles öffnen und zu einer vorpandemischen Normalität zurückkehren.

Lockdown für zwei Monate wie in Portugal?

tagesschau.de: Das heißt, auch mit einem harten Lockdown wird es erstmal nicht viel besser?

Keppler: Ich glaube, alle Virologen sind sich einig, dass wir in dieser kritischen Phase der dritten Welle sofort einen harten Lockdown brauchen. Ehrlich gesagt frage ich mich: Wo ist der? Er hätte eigentlich schon kommen müssen. Es gibt dazu keine Alternative. Und wir brauchen ihn jetzt, und am besten einheitlich in ganz Deutschland.

Wie groß die positiven Auswirkungen eines zwei- oder dreiwöchigen Lockdowns sein werden, steht und fällt natürlich mit der Bereitschaft der Bevölkerung, mitzugehen. Und das betrifft vor allem soziale Kontakte. Wir benötigen mit dieser neuen Virus-Variante größere Anstrengungen und mehr Kontaktbeschränkungen – privat und beruflich.

Ob das dann zwei Monate dauern muss, wie in Portugal, lässt sich schwer sagen. Ich denke nicht. Aber immerhin können wir an diesem Beispiel sehen, dass man mit einem konsequenten, kompromisslosen Lockdown die Zahlen auch wieder drastisch senken kann.

„Ausgangsbeschränkungen sind eine effektive Maßnahme“

tagesschau.de: Welche Maßnahmen müssten über die jetzigen Einschränkungen hinaus noch kommen?

Keppler: Wir können nur schwer vorhersagen, wie sich die einzelnen Maßnahmen auswirken werden, weil unsere Erkenntnisse und Vorhersagemodelle aus dem vergangenen Jahr nur bedingt auf die neuen Virus-Variante übertragbar sind. Der Basisreproduktionswert des Virus hat sich von 3 auf etwa 5 erhöht. Das ist erheblich, wenn man in ein exponentielles Wachstum des Infektionsgeschehens kommt.

Ausgangsbeschränkungen sind sicher eine effektive Maßnahme, das haben andere Länder deutlich gezeigt. Die „ungeschützten“ privaten Kontakte müssen noch weiter runtergefahren werden und ganz wichtig ist auch die Diskussion über das Homeoffice: Es sind immer noch relativ wenige Betriebe geschlossen und bei denen, die offen sind, gibt es bei vielen sicher noch mehr Spielraum für Homeoffice-Angebote.

tagesschau.de: Was ist mit Kitas und Schulen?

Keppler: Gerade mit der rasend schnellen Ausbreitung der britischen Variante sind Kitas und Schulen Zentren des Infektionsgeschehens. Das heißt, rein virologisch betrachtet, müsste ein Lockdown auch diese Einrichtungen mit einbeziehen.

Andererseits muss man diese Frage ja auch im Hinblick auf die Folgewirkungen für Kinder und Eltern betrachten. Das ist dann eine gesellschaftspolitische Entscheidung: eine Risiko-Nutzen-Abwägung beispielsweise unter konsequenter Umsetzung von Wechselunterricht und regelmäßiger PCR-Testung.

„Diskussion über 35er-Inzidenz illusorisch“

tagesschau.de: Reicht es denn aus, mit einem harten Lockdown, die Sieben-Tage-Inzidenz auf unter 100 zu drücken, wie es Laschet vorschwebt? Vor einigen Wochen sprachen wir noch von den Zielmarken 50, 35 oder noch weniger.

Keppler: Ich habe die Diskussion über die 35-Inzidenz schon immer als eher illusorisch empfunden, weil wir dort mit B.1.1.7 nicht hinkommen werden. Das würde eine Heftigkeit der Maßnahmen erfordern, die hierzulande kaum kommunizierbar und umsetzbar wäre.

Dass Armin Laschet jetzt die 100 als Zielmarke wählt, hat sicher einerseits mit einem Wunscheffekt durch die Impfungen zu tun. Zum anderen auch mit der Hoffnung auf saisonale Effekte, von denen wir ja im vergangenen Jahr profitiert haben. Aber da muss man ganz klar sagen: Wir können für die britische Variante noch schwer abschätzen, inwieweit der Frühjahrs- oder Sommer-Effekt uns dieses Jahr helfen wird. Sie überträgt sich einfach leichter, flüchtige Kontakte können zur Infektion führen.

Insofern ist es vielleicht durchaus realistisch zu sagen, wir müssen uns bis in den Spätsommer um diesen Bereich der 100-Inzidenz bewegen, wofür weiterhin immer wieder viele Einschränkungen nötig sein werden. Auch Evidenz-basierte Testkonzepte mit wissenschaftlichem Sachverstand und nicht überzogene Hoffnungsrhetorik und wilder Aktionismus in sogenannten Modellstädten können uns weiterhelfen. So lange, bis jeder die Chance hat, sich impfen zu lassen.

„Niedrig-Inzidenz-Musterschüler von heute ist Hot Spot-Versager von morgen“

tagesschau.de: Wir haben mit der Notbremse eigentlich schon jetzt ein Instrument, das genau das leisten soll: dauerhaft unter einer Inzidenz von 100 zu bleiben. Wie soll das nach einem harten Lockdown gelingen, wenn es bisher nicht gelungen ist?

Keppler: Die Notbremse ist zu regional und zu wenig konsequent umgesetzt worden. Als Virologe plädiere ich schon lange dafür, einheitlichere Maßnahmen bundesweit zu implementieren. Auch wenn die Situation in den einzelnen Regionen sehr unterschiedlich ist. Der Niedrig-Inzidenz-Musterschüler von heute ist doch der Hot Spot-Versager von morgen. Diese Sichtweise polarisiert, wir sitzen doch alle in einem Boot und müssen als Land durch diese herausfordernde Pandemie kommen.

Und dann muss man die Entwicklungen mit etwas längerem Atem betrachten: Wenn – wie in München – plötzlich die Geschäfte wieder öffnen dürfen, nur weil die Inzidenz nach Ostern wegen geringerer Testfrequenz und des Meldeverzugs knapp unter 100 liegt, dann ergibt das keinen Sinn. Wir hoffen alle auf Öffnung, aber bitte nicht kopflos, das zermürbt.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de


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